Rezension: Nicht weg und nicht da (Anne Freytag)

Anne Freytag - Nicht weg und nicht da
(Cover Copyright: Heyne fliegt / Foto Copyright: Das Bambusblatt)

Der Jugendroman von Anne Freytag „Nicht weg und nicht da“, der im März 2018 beim Heyneverlag erschien, erzählt die traurige Geschichte von Selbstmord. Dabei richtet sich der Fokus allerdings nicht auf denjenigen, der sein Leben beendet, sondern auf jene, die zurückbleiben und mit diesem Verlust umzugehen lernen müssen.
In diesem Roman steht dabei vor allem Luise im Bild, ein Mädchen, das ihren Bruder durch dessen Krankheit verloren hat und nun lernen muss, ohne ihn weiter voranschreiten zu können.
Ihre Reise beginnt allerdings erst so wirklich, nachdem sie Nachrichten von ihrem Bruder erhält und sie auf dem Weg von ihrem Psychologen nach Hause auf Jacob trifft. Dieser hilft ihr, zusammen mit seinem Bruder und dessen Freundin, mehr denn je, den Verlust zu verarbeiten und endlich wieder nach vorne blicken zu können.

Zu Beginn der Handlung lernen wir Luise kennen. Ein Mädchen, dessen Bruder sich vor noch nicht allzu langer Zeit aufgrund einer Krankheit das Leben nahm und sie damit völlig am Boden zerstört zurückgelassen hat.
Luise, früher ein ruhiges Mädchen mit langen Haaren, wird auf einmal einer Mitschülerin gegenüber gewalttätig und rasiert sich die Haare stachelkurz. Sie kann nicht verstehen, wieso ihr Bruder ihr das angetan hat, und wird, nach ihrem Gewaltausbruch, an einen Psychologen verwiesen, weigert sich jedoch, mit diesem zu kooperieren. Sie sitzt lieber die gesamten Stunden schweigend ab.
Bei einem dieser Besuche begegnet sie Jacob, dem männlichen Protagonisten, der dem verloren wirkenden Mädchen ein wenig unter die Arme greift, dabei allerdings undurchschaubar bleibt.
Im Laufe der Geschichte treffen sie noch mehrmals aufeinander und freunden sich zu Beginn an. Er hilft ihr auch, gesamt mit der Situation umzugehen und die Aufgaben zu erfüllen, die Luises toter Bruder ihr per E-Mail schon ab Anfang der Geschichte zukommen lässt.
Kristopher, wie der Bruder hieß, hat sich nämlich nicht einfach das Leben genommen, sondern mit Hilfe des Internets, Recherche und dem Emailanbieter „Future.me“ einen Abschluss vorbereitet, der Luise und der gemeinsamen Mutter helfen sollte, den Verlust zu verarbeiten.

Der Schreibstil war eigentlich das, was mich am meisten gestört hat, wenn man es denn so sagen kann. Oft bin ich von der Art des Schreibens ebenso enttäuscht wie von den Charakteren, doch hier war es gar nicht der Fall.
Der Schreibstil ist leider in der Ich–Perspektive und der Gegenwartsform gehalten.
Das ist eine sehr subjektive Einschätzung, aber ich persönlich bin kein Freund davon und finde es schade, immer mehr Bücher mit dieser Art des Schreibens zu finden.
Allerdings muss ich auch sagen, dass die Autorin so gut und flüssig geschrieben hat und die Charaktere und die Geschichte so im Vordergrund standen, dass ich es nach einigen Seiten gar nicht mehr wahrgenommen habe.
Also eher eine Ausnahme der Regel und somit bleiben mir nur mehr oder minder zwei große Kritikpunkte an diesem Werk:
Neben der Tatsache, dass manche Szenen wirklich rasch runter geschrieben worden sind, was ich mal dem Genre Jugendbuch zuschreibe, nervte mich die öfter stattfindende Wiederholung von „Das und das“, sagte sie. „Dies und jenes“, sagte er.

Und noch schlimmer waren die Szenen, die wie ein Übungsdialog für Grundschüler aufgebaut waren.

Das Gespräch lief wie folgt ab:
Er: So und so
Sie: So und so
Er: So und so“

Das empfand ich als störend und unnütz und hat mich persönlich total aus dem Lesefluss gerissen. Vor allem, da der Schreibstil ansonsten sehr flüssig und trotz Wiederholungen tiefgründig war und diese Art der Szene nur selten vorkam.
Die Sprache des Buches dagegen war vollkommen in Ordnung, passte zu Charakteren und Geschichte, ließ einen das Buch flüssig runterlesen und förmlich verschlingen und brachte einen nicht zum Stocken.
Genauso schlüssig wie die Sprache war auch die Geschichte. An manchen Stellen waren die Szenen, wie bereits erwähnt, ein wenig zu schnell abgehandelt und eine Szene, noch relativ am Anfang, an einer Trambahnstation hatte mich so sehr gestört, dass ich das Buch fast nicht wieder angerührt hätte, doch das sind alles Mankos, über die man gern und leicht hinweg blicken kann.

Äußerst positiv ist mir aufgefallen, dass sich sehr auf Luise konzentriert wird.
Immerhin ist das ihre Geschichte. Es war ihr Bruder, der sie „im Stich gelassen hat“ und sie hat mit dem abwesenden Vater, mit der leeren Wohnung und mit der Mutter zu kämpfen, die sich in ihrem Schmerz kopfüber in die Arbeit stürzt, statt sich richtig um das andere Kind zu kümmern, das einsam in der tristen Wohnung wartet, in der vor kurzem noch drei und nicht nur zwei Leute gelebt haben.
Es ist Luise, die immer hintenan stand, weil ihr Bruder mit seiner Krankheit immer eine besondere Aufmerksamkeit brauchte. Und es war auch Luise, die ihren Bruder dennoch abgöttisch geliebt und förmlich verehrt hatte.
Auch war es Luise, die von einem ruhigen und normalen, vielleicht ein wenig zu zurückhaltenden, Mädchen zu einer optisch auffälligen Person wurde, die sich auf dem Schulhof geprügelt hat.
Jacobs Parts dagegen sind am Anfang noch relativ rar und kurz eingestreut, aber je wichtiger er für Luise wird, umso präsenter wird er auch als Charakter und das mochte ich sehr.
Der Gesamteindruck wird damit von einem sehr gefühlvollen und durchdachten Buch geprägt. So war mein erster Eindruck durch den Schreibstil sowie die gewisse Szene eher mittelmäßig. Doch dann konnte ich nur noch weiter lesen und war enttäuscht, als das Buch irgendwann sein Ende gefunden hatte.
Vielleicht mag es daran liegen, dass ich selber mit vielen Problemen zu kämpfen habe, doch die Charaktere im Buch waren für mich einfach verständlich. Ihr Leid war weder künstlich hoch gesetzt, noch zu seicht, damit die Autorin sie besser händeln konnte. Im Gegenteil, meiner Meinung nach hat Anne Freytag sich sehr viel Mühe gegeben. Bei der Recherche als auch bei der Umsetzung der Gefühle.
Das, zusammen mit einem Schreibstil, an den man sich gewöhnen kann und der einen dann auf gute Art durch das Buch führt, hat mich keinen Cent, den ich für das Buch ausgegeben habe, bereuen lassen.

Mein Fazit lautet daher wie folgt

Kein Buch mag perfekt sein. Das ist allein schon wegen der subjektiven Meinungen der Fall. Man kann keine Entscheidung treffen, mit der wirklich alle zufrieden sind. So wird mir immer etwas negativ auffallen, das andere vielleicht gar nicht bemerken oder das ihnen egal ist. Oder sie mögen es.
Ich kann also nur für mich selbst sprechen, wenn ich „Nicht weg und nicht da“ eine klare und dicke Kaufempfehlung gebe. Sie kommt tief aus dem Herzen.
Sicherlich, der Schreibstil ist zumindest für mich am Anfang eher unglücklich gewählt, stört im Laufe der Geschichte aber nicht mehr. Bis auf die ein oder andere Stelle.
Und bis auf diese eine, mehrfach erwähnte, klischeevolle Szene, die in diesem Buch zwar sogar einen triftigen Grund hat und dennoch nicht hätte sein müssen, sind sowohl die Charaktere als auch die Geschichte bezaubernd traurig und wunderschön.
Gerade mit Kristopher habe ich ein besonderes Verhältnis aufgebaut. Am Anfang war ich wütend auf ihn, dann traurig und deprimiert. Für manche Aufgabe habe ich ihn gehasst, vor allem für die letzte. Aber so manche E-Mail hat mir auch ein paar Tränen in die Augen getrieben.
Das Buch kommt ohne Magie aus, lediglich am Ende gibt es eine Stelle, die jeder deuten kann, wie er möchte, und obwohl ich normalerweise ein reiner Fantasyleser bin, habe ich nichts vermisst.
Denn, obwohl es eher ein Jugendbuch mit einem harschen Thema, also auch gut für Erwachsene geeignet, ist, verströmt das Buch seinen ganz eigenen Zauber.
Auch sieht das Buch absolut wundervoll aus. Einzig Kristopher, der an den Sternen emporklettert, gefällt mir weniger gut, da er meines Erachtens erstens wie ein Kind und nicht wie der ältere Bruder von Luise aussieht, und zweitens hätte ich ihn mir mehr in einem Bötchen vorgestellt.
Ansonsten ist es von einem perfekten Dunkelblau. Die Sterne sind meistens 3D. Die Zeichnung des Liebespärchens sieht absolut schön aus!
Die Schrift des Klappentextes ist mit Farbe und Form stimmig gehalten.
Und selbst innen sieht das Buch wunderschön aus. Die Autorin hat ganz hinten ihre Playlist beigefügt.

Geschrieben von: Judith

Linksektion

Verlagsseite des Buches
„Nicht weg und nicht da“ bei Thalia*

Weitere Rezensionen zu Büchern von Anne Freytag:
Den Mund voll ungesagter Dinge

2 Kommentare zu „Rezension: Nicht weg und nicht da (Anne Freytag)“

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